Die stille Not und der laute Luxus – Das Leben von Arm und Reich im antiken Carnuntum
Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas MauerhoferWer heute durch das weitläufige Freilichtgelände von Carnuntum streift, begegnet auf Schritt und Tritt den Spuren einer römischen Stadt, die einst zu den bedeutendsten urbanen Zentren entlang des Donaulimes zählte. Monumentale Bauwerke, prachtvolle Wohnhäuser und feinste Luxusgüter zeugen von Glanz und Wohlstand – doch sie erzählen nur die halbe Geschichte.
Denn Carnuntum war nicht nur ein Ort militärischer Macht und wirtschaftlicher Stärke, sondern, wie alle anderen antiken Zentren ebenfalls, auch eine Stadt der Gegensätze. Hinter den repräsentativen Fassaden verbarg sich eine vielschichtige Gesellschaft, in der sich Reichtum und Armut, Überfluss und Mangel, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit auf engstem Raum begegneten. Händler, Handwerker, Bettler, Soldaten, Großgrundbesitzer, kaiserliche Beamte und viele weitere lebten in einer durch und durch hierarchisierten Welt – ein soziales Gefüge, das sich auch tief in der materiellen Kultur eingeschrieben hat.
Der Geschmack der Armut
Für die Mehrheit der Bevölkerung Carnuntums – etwa Handwerker, Tagelöhner und kleine Händler – war der Alltag geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit. Absolute Armut, also die Unfähigkeit, grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung oder ein Dach über dem Kopf dauerhaft zu sichern, war in der vorindustriellen Welt ein allgegenwärtiges Phänomen – auch in Carnuntum, selbst wenn sie archäologisch oft schwer fassbar bleibt.
Römisches Kochen im sogenannten Haus des Lucius- © Römerstadt Carnuntum
Die tägliche Ernährung dieser Bevölkerungsschicht war schlicht und nährstoffarm: Getreide, Hülsenfrüchte und Zwiebeln prägten den Speiseplan der einfachen Bevölkerung. Antike Autoren machten diese Zutaten in ihren Werken zum Symbol sozialer Not. So galt beispielsweise Hirse in der Traumdeutung des Artemidoros gar als Vorbote künftiger Armut – ein eindrucksvoller Einblick in antike Wahrnehmungen sozialer Realitäten.
Auch wer über eine kleine Werkstatt oder ein Stück Land verfügte, lebte keineswegs sorgenfrei: Witterungseinflüsse, Steuerlasten oder Marktkrisen konnten das ökonomische Gleichgewicht jederzeit erschüttern. Wer jedoch keinerlei Produktionsmittel besaß – also kein Land, kein Werkzeug, kein Handwerk –, war vollständig abhängig und sozial fast unsichtbar: Besitzlose, Bettler und Sklaven bildeten das unterste Ende der gesellschaftlichen Ordnung.
Reichtum und seine Zeichen
Ganz anders gestaltete sich das Leben für die privilegierte Oberschicht Carnuntums. Hochrangige Militärs, wohlhabende Händler, lokale Eliten und imperiale Beamte verfügten nicht nur über Land und Immobilien, sondern vor allem über eines: Repräsentationsmacht. Reichtum wurde sichtbar gemacht – durch Kleidung, durch Häuser und ihre Ausstattung (wie etwa die villa urbana im Römischen Stadtviertel eindrucksvoll zeigt) und vor allem auch durch Essen und Trinken.
Apsidensaal der villa urbana im Römischen Stadtviertel - © Römerstadt Carnuntum
Ein Blick auf die Funde zeigt: Luxus war allgegenwärtig – zumindest in den entsprechenden Kreisen. Terra Sigillata, die feinste Tafelkeramik ihrer Zeit, mit ihrem leuchtend roten Glanz und figürlichem Reliefdekor, war ebenso Teil des Haushalts wie kostbares Glasgeschirr, kunstvoll verzierte Bronzegefäße oder gar Trinkschalen aus Marmor. Amphorenfunde belegen die weite Herkunft kulinarischer Spezialitäten: Garum aus Hispanien, Weine aus Kampanien, in Fässern transportierte Austern von der Atlantikküste - teils Luxusgüter, welche auch in Carnuntum gefunden wurden.
Die Gastmähler der Reichen wurden immer wieder zu theatralischen Inszenierungen sozialen Status. Apicius, der berühmteste Gourmet seiner Zeit, nennt Speisen wie Flamingozungen oder mit Feigen und Honigwein gemästete Schweineleber. Der Feldherr Lucullus, berüchtigt für seine Exzesse, galt antiken Autoren als Inbegriff des dekadenten Luxus. Seine kulinarischen Orgien waren so legendär wie umstritten – und wurden zur moralischen Projektionsfläche der römischen "Moralapostel".
Der Verzehr von maris poma – Meeresfrüchten – spielte in der gehobenen römischen Küche eine ausgeprägte Rolle. - © NÖ Landessammlungen
Armenfürsorge und Selbstdarstellung
Reichtum bedeutete in der römischen Welt jedoch nicht nur Konsum, sondern auch Verpflichtung. Wer viel hatte, zeigte sich großzügig – zumindest nach außen. Die freiwillige Stiftung von öffentlichen Gebäuden, Spielen oder Getreidespenden durch reiche Bürger diente oftmals weniger echter Wohltätigkeit als sozialem Prestigegewinn. Auch in Carnuntum trugen Bauinschriften, Weihgaben und Grabmonumente die Namen ihrer Stifter – oft verbunden mit ihrem sozialen oder politischen Amt. Zu besonderem Reichtum kamen auch einige Geschäftsleute, welche ebenfalls als Stifter bei öffentlichen Bauten auftreten - ein herausragendes Beispiel für Carnuntum ist hierbei Gaius Domitius Zmaragdus aus Antiochia, welcher das heute nicht mehr sichtbare Amphitheater III finanzierte.
Bauinschrift des Amphitheater III - © Landessammlungen NÖ
Armenfürsorge war in diesem Kontext dementsprechend weniger Ausdruck sozialer Verantwortung als vor allem Instrument der Kontrolle, wenn natürlich auch nicht ausschließlich. Besonders mit dem Aufstieg des Christentums wandelte sich aber die Wahrnehmung von Armut grundlegend. Almosen wurden nun zur religiösen Pflicht, Armut selbst erhielt eine viel stärkere moralische Dimension als zuvor. Auch in Carnuntum sind in spätantiken Kontexten christlich geprägte Veränderungen in der sozialen Struktur erkennbar – doch ob dies tatsächlich zu einer Verbesserung der Lebensrealität Armer führte, ist kaum belegbar.
Neben der Ausstattung der Wohnhäuser und Luxusgütern der “Welt der Lebenden” zeigt sich die soziale Ungleichheit auch bei den Bestattungen. So sind auch oftmals Grabbeigaben und -bauten ein großer Indikator der gesellschaftlichen Stellung der Verstorbenen. Dies ändert sich deutlich mit dem Vorherrschen des Christentums, da Beigaben in den Gräbern hier zumeist fehlen bzw. stark reduziert wurden. Auch bioarchäologisch, sei es hinsichtlich der besseren Gesundheitsfürsorge der Oberschicht, sei es die schwerarbeitende unterste Gesellschaftsschicht, lassen sich Hinweise auf die soziale Stellung finden.
Darstellung der ärmeren Bevölkerung durch Project Periphery- © Römerstadt Carnuntum
Soziale Ungleichheit aus archäologischer Perspektive
Carnuntum erlaubt es dank der gut erhaltenen Funde und Befunde soziale Unterschiede auf einzigartige Weise nachzuvollziehen. Unterschiedlich ausgestattete Wohnräume, das Nebeneinander von einfachen Handwerkervierteln und prachtvollen Villen, variantenreiche Grabbeigaben oder die Spannbreite zwischen einfacher Gebrauchskeramik und Luxusgeschirr erzählen von einer Gesellschaft, die stark durch soziale Ungleichheit geprägt war. Armut bleibt dabei oft unsichtbar – eine Lücke, die auch eingehende Untersuchungen nicht immer schließen können. Reichtum lässt sich besser fassen: in importierten Delikatessen, in Metall, Marmor und weiteren Luxusgegenständen. Die sozialen Gegensätze der römischen Welt haben sich tief in die materielle Kultur eingeschrieben – auch und gerade in Carnuntum.
Darstellung einer reichen Römerin in der Zivilstadt von Carnuntum - © Römerstadt Carnuntum
Carnuntum war ein Spiegelbild der römischen Gesellschaft – mit all ihren Ungleichheiten, Machtstrukturen und sozialen Kontrasten. Während der Reichtum Weniger sich im Luxus des Alltags und der Repräsentation manifestierte, bleibt die Lebensrealität der Vielen oft nur in leisen Spuren erkennbar. Gerade deshalb ist es Aufgabe der Archäologie, diese Spuren sichtbar zu machen – und die Geschichte von Arm und Reich nicht nur aus Sicht der Villen, sondern auch aus Sicht der einfachen Häuser zu erzählen.
Veranstaltungstipp
Am ersten Juliwochenende erwachen die Bewohner des antiken Stadtviertels erneut zum Leben: Unter dem Thema "Das Leben von Arm und Reich" verkörpern Kulturvermittler der Römerstadt historische Bewohner des antiken Carnuntums und erzählen vom Leben der verschiedenen Gesellschaftsschichten in einer römischen Stadt.