Mithras in Carnuntum – Ein Kult zwischen Militär und Mysterium
Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas Mauerhofer, Anna-Maria GrohsDer Mithraskult zählt zu den faszinierendsten religiösen Phänomenen der römischen Kaiserzeit. Als Mysterienreligion fand er besonders im militärischen Umfeld große Verbreitung und reichte bis in entlegenste Regionen des Reiches. Mithras galt als Schutzgott, Lichtbringer und kosmischer Erlöser – er verband Diesseits und Jenseits, Mensch und Kosmos, durch eine symbolhafte Bildsprache und geheime Rituale. In Carnuntum erlangte dieser Kult besondere Bedeutung. Zahlreiche archäologische Zeugnisse aus mehreren Kultstätten belegen, wie eng er mit dem militärischen und gesellschaftlichen Leben der Stadt verwoben war.
Zwischen Persien und Pannonien
Der römische Mithras geht vermutlich auf eine komplexe Synthese altiranischer, kleinasiatischer und hellenistisch-römischer Vorstellungen zurück. Doch trat er im Westen nicht als bloßer Import einer fremden Religion auf, sondern als bewusste Neuschöpfung mit eigenständiger Bildwelt, Ritualsprache und Organisationsform – maßgeschneidert für die Bedürfnisse römischer Männergemeinschaften. Entstanden wohl im späten 1. Jahrhundert v. Chr. oder frühen 1. Jahrhundert n. Chr., verbreitete sich der Kult rasch über das gesamte Imperium – vor allem durch römische Legionäre, die ihm erstmals in Kleinasien begegneten. Entlang der Heerstraßen, in Kastellen, Lagern und Grenzstädten wie Carnuntum, fand er fruchtbaren Boden.
Tauroktonie-Relief aus Carnuntum, 3. Jahrhundert n. Chr. (Inv.-Nr. CAR-S-97) - © Landessammlungen NÖ
Die Stiertötung
In Carnuntum stieß der Kult auf ein ideales Umfeld. Die dort stationierten Legionen – zunächst die Legio XV Apollinaris, später die Legio XIV Gemina – wirkten nicht nur militärisch, sondern auch als kulturelle Träger. Die Soldaten, oft aus verschiedenen Provinzen stammend, brachten vielfältige religiöse Traditionen mit, die sich in Carnuntum etablierten.
Zentrum des Mithraskults war die Tauroktonie – die Darstellung der Stiertötung: Mithras, mit Mantel und phrygischer Mütze bekleidet, kniet auf einem niedergeworfenen Stier, hält ihn an den Nüstern und stößt ihm ein Schwert in die Schulter. Um ihn gruppieren sich stets dieselben Begleiter – Hund, Schlange, Skorpion, Rabe – sowie Getreideähren, die aus dem Schweif des Tieres sprießen. Was wie ein Opferritual wirkt, ist ein vielschichtiges Symbolsystem. Als Mysterienreligion war der Mithraskult nur Eingeweihten zugänglich; seine Inhalte blieben durch Schweigegelübde geschützt. Frauen war der Zutritt verwehrt, viele Aspekte des Kultes bleiben bis heute im Dunkeln.
Stier einer Mithrasgruppe aus Bronze, Carnuntum 2.-3. Jahrhundert - © Landessammlungen NÖ
Kosmologie in Stein gemeißelt
Eine der schlüssigsten Deutungen bringt die Bildsprache der Tauroktonie mit dem astronomischen Phänomen der Präzession der Äquinoktien in Verbindung – also der allmählichen Verschiebung der Tagundnachtgleichen durch die Sternbilder. Mithras erscheint hier als göttlicher Lenker der Zeit, der mit dem Tod des Stiers das astrologische Zeitalter des Stiers beendet. Er wird mit dem Sternbild Perseus assoziiert, das am Himmel über dem Stier erscheint. Auch die weiteren Tiere und Objekte der Tauroktonie entsprechen Sternbildern: Skorpion, Hund, Schlange (Hydra), Rabe, Löwe und Becher markierten einst Positionen am Himmelsäquator.
Der Kult verband somit astronomisches Wissen mit einer spirituellen Botschaft. Durch sieben Einweihungsgrade – jeweils einem Planeten zugeordnet – sollte die Seele nach dem Tod durch die Planetensphären aufsteigen und zu ihrem göttlichen Ursprung zurückkehren. Rituale wie eine Art Taufe, mystische Hochzeit oder das heilige Mahl dienten der Vorbereitung auf diese Reise.
Blick in die Mithrasgrotte im Museum Carnuntinum - © Römerstadt Carnuntum
Carnuntum – Zentrum des Mithraskults an der Donau
Kein anderer Ort nördlich der Alpen bietet eine derart dichte Überlieferung zum Mithraskult wie Carnuntum. Fünf bislang bekannte Mithräen – also Kulträume des Mithras – wurden im Bereich von Militärlager und Zivilstadt entdeckt. Bereits 1852 fand man auf dem Kirchenberg von Bad Deutsch-Altenburg das erste Heiligtum: eine natürliche Felshöhle mit kultischer Ausstattung. Obwohl später durch Steinbrucharbeiten zerstört, sind bedeutende Skulpturen – darunter das zentrale Stiertötungsbild – erhalten und heute im Museum Carnuntinum zu sehen.
1894 folgte ein spektakulärer Fund in der Langen Gasse von Petronell: Das größte Mithräum Carnuntums wurde freigelegt – ein dreischiffiger Bau mit Altären, Podien, Votivinschriften und reichem Figurenschmuck. Eine rekonstruierte Kultszene aus diesem Tempel bildet heute das Zentrum der Mithrasgrotte im Museum. Ein besonders bedeutender Altar aus dem späten 3. oder frühen 4. Jahrhundert verweist auf die Kaiserkonferenz von 308 n. Chr. und belegt die Wiederherstellung des Heiligtums – ein Indiz für die fortdauernde Bedeutung des Kultes in spätrömischer Zeit:
D(eo) S(oli) I(nvicto) M(ithrae) / FAVTORI IMPERII SVI / IOVII ET HERCVLII / RELIGIOSISSIMI / AVGVSTI ET CAESARES / SACRARIVM / RESTITVERVNT
Kaiserkonferenzaltar aus Marmor, 308 n. Chr., vermutlich Mithräum III
(Inv.Nr.: KHM Wien, AS III 123) - © Landessammlungen NÖ
Weitere Mithräen – etwa auf der Pfaffenbrunnwiese, im Schlosspark Petronell („Tiergarten“) oder am Westrand von Bad Deutsch-Altenburg – belegen die breite Verankerung des Kults, auch jenseits rein militärischer Kontexte. Funde von Schlangengefäßen, Altären und Opferresten zeigen, dass die Rituale regelmäßig und intensiv ausgeübt wurden.
Mithras und das Christentum
In der Spätantike trat der Mithraskult in direkte Konkurrenz zum aufstrebenden Christentum. Trotz grundlegender Unterschiede – das Christentum war öffentlich, gemeinschaftlich und auch Frauen zugänglich; der Mithraskult exklusiv, geheim, männerbündisch – zeigten sich markante Parallelen: ein Erlösergott, ein sakrales Mahl, der Aufstieg der Seele, ein stufenweises Initiationssystem sowie ein ritualisiertes religiöses Leben mit Heilsversprechen. Solche Ähnlichkeiten führten zur Frage, ob das frühe Christentum Elemente des Mithraskults übernommen oder ihnen bewusst entgegengesetzt habe.
Mit den Religionsgesetzen der christlichen Kaiser, insbesondere unter Theodosius I., wurden heidnische Kulte zwischen 391 und 392 n. Chr. verboten. Archäologisch ist dieser Umbruch in Carnuntum kaum direkt zu greifen, doch spätestens mit dem Abzug der Truppen im frühen 5. Jahrhundert verschwanden auch die Spuren des Mithraskults.
Beleuchtung des Tauroktonie-Reliefs mit Weihinschrift aus Mithräum III - © Römerstadt Carnuntum
Kosmos – Kult – Carnuntum
Der Mithraskult war Ausdruck einer religiösen Praxis zwischen Himmel und Erde, zwischen kosmischer Ordnung und militärischem Alltag. In Carnuntum, wo Legionäre nicht nur für Grenzsicherung, sondern auch für kulturelle Impulse verantwortlich waren, wurde dieser Glaube sichtbar gelebt. Die erhaltenen Altäre, Skulpturen und Inschriften, heute im Museum Carnuntinum zu besichtigen, zeugen von einem spirituellen System, das astronomisches Wissen, rituelle Praxis und persönliche Erlösung verband. Die Präsenz des Mithras in Carnuntum macht deutlich, wie tiefgreifend und weitreichend sich religiöse Ideen im Imperium entfalten konnten.
Das Museum Carnuntinum - © Römerstadt Carnuntum
Tipp: Das Thema Religion – einschließlich des Mithraskults – wird aktuell auch in der Sonderausstellung 1700 Jahre Konzil von Nicäa im Museum Carnuntinum eindrucksvoll behandelt. Wer tiefer in die religiöse Vielfalt des römischen Carnuntum eintauchen möchte, findet zudem im neuen Museumsguide zum Museum Carnuntinum zahlreiche weiterführende Informationen, Bilder und Hintergrundtexte zu den wichtigsten Kulten, Göttern und Heiligtümern der Stadt. Ein Blick lohnt sich!