Wissenschaft

Erinnern für die Zukunft: Carnuntiner Forschungen in der Nachkriegszeit

Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas Mauerhofer, Anna-Maria Grohs

Im Jahr 2025 jähren sich zentrale Ereignisse der niederösterreichischen Nachkriegsgeschichte. Diese betreffen nicht nur Politik und Gesellschaft, sondern prägen auch den Umgang mit dem kulturellen Erbe nachhaltig. Eine aktuelle Online-Ausstellung mit exklusivem, teils bislang unveröffentlichtem Bildmaterial macht diese Wegmarken nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Unter dem Motto „Erinnern für die Zukunft“ richtet sich in Carnuntum der Blick auf archäologische Forschung, museale Vermittlung und die Rolle der Vergangenheit für eine reflektierte Zukunftsgestaltung. Die Römerstadt steht dabei exemplarisch für diese Entwicklungen. Die Jahre 1945, 1955, 1995 und 2005 markieren Schlüsselmomente in ihrer jüngeren Geschichte – von den ersten Nachkriegsgrabungen über die Etablierung eines Freilichtmuseums bis hin zur Entwicklung eines modernen internationalen Vermittlungszentrums.

Grabungen Forumsthermen 1938, Arbeiter im Grabungsschnitt, römische Mauern und Fußbodenheizung
© Land Niederösterreich

Ausgrabungen in den Forumsthermen 1938  - © Land NÖ

Ein Neustart für die archäologischen Forschungen

Der erste Abschnitt widmet sich der Zeit um 1945: Der Zweite Weltkrieg bedeutete auch für die Archäologie in Carnuntum einen tiefen Einschnitt. Zwar lief die wissenschaftliche Erforschung der Stadt seit 1877 kontinuierlich, doch die Kriegsjahre hatten die Arbeiten nahezu vollständig zum Erliegen gebracht. Bereits 1946 und 1947 nahm Hermann Vetters die Untersuchungen im Lageramphitheater wieder auf. Ziel war es, frühere Ergebnisse zu überprüfen und neue Fragen zur Siedlungsgeschichte zu beantworten.

Von ebenso großer Bedeutung war 1948 die Wiederaufnahme systematischer Grabungen in der Zivilstadt durch Erich Swoboda im Auftrag des Landes Niederösterreich. Im Fokus standen die monumentalen Bauwerke, vor allem die Große Therme („Palastruine“) und der sogenannte Spaziergarten, das Areal des heutigen Freilichtmuseums. Neben wissenschaftlichen Zielen spielten dabei zunehmend auch der Schutz und die dauerhafte Zugänglichmachung der freigelegten Strukturen für die Öffentlichkeit eine zentrale Rolle. Bereits in dieser frühen Phase zeigte sich ein neuer Denkansatz: Archäologie sollte nicht mehr nur erforschen, sondern auch bewahren und vermitteln. Angesichts wachsender Bedrohungen durch Infrastrukturprojekte und moderne Landnutzung war dies ein entscheidender Schritt für den langfristigen Erhalt des kulturellen Erbes.

Freilegung eines Mosaiks
© Land NÖ

Freilegung eines Mosaiks in Haus 4 in der Zivilstadt von Carnuntum 1949 - © Land NÖ

Vom Grabungsfeld zum Freilichtmuseum

Der österreichische Staatsvertrag symbolisiert 1955 den Beginn einer neuen Epoche – auch in der niederösterreichischen Denkmalpflege.Dieser Zeit widmet sich der zweite Teil der Ausstellung. Dieser Zeit widmet sich der zweite Teil der Ausstellung. In Carnuntum wurden die bis dahin isolierten Grabungen nun in ein museales Gesamtkonzept überführt. Mit der Restaurierung der Großen Therme und ihrer Eröffnung für das Publikum im Jahr 1958 entstand das erste als Ensemble präsentierte römische Stadtquartier Österreichs. Wissenschaft und Vermittlung sollten hier erstmals Hand in Hand gehen.

Neueröffnung 1950 des Museum Carnuntinum, Eingangsbereich mit Publikum, schwarz-weiß Foto
© Land NÖ

Wiedereröffnung des Museums Carnuntinum 1950 - © Land NÖ

Parallel dazu wurden die institutionellen Strukturen neu geordnet: Das Museum Carnuntinum wurde 1950 wiedereröffnet und 1953 dem Land Niederösterreich übertragen. Mit dem Erwerb der Sammlung Ludwigstorff, einer umfangreichen Privatsammlung, die mitunter die Basis für den Bestand der heutigen Sammlung Carnuntums darstellt, wuchs der Bestand erheblich. 

1952 übernahm Eduard Vorbeck die Leitung der Außenstelle Carnuntum und trieb die wissenschaftliche Aufarbeitung gezielt voran. Doch diese Fortschritte erfolgten unter schwierigen Rahmenbedingungen. Der wirtschaftliche Aufschwung brachte neue Bedrohungen mit sich: Flächenverbrauch, Industrialisierung und Rohstoffabbau setzten der archäologischen Substanz massiv zu. Rettungsgrabungen unter großem Zeitdruck prägten zunehmend das Bild.

Grabung Kastellbad Auxiliarkastell, offene Hypokausten im Grabungsschnitt
© Land NÖ

Ausgrabungen in den Bädern des Auxiliarkastells in den 1990er Jahren - © Land NÖ

1960er bis 1980er Jahre – Zwischen Notgrabungen und Neuausrichtung

Die Grabungstätigkeit blieb auch in den folgenden Jahrzehnten hoch. Unter Hermann Vetters wurden wichtige Areale wie die Thermen, das Legionslager und mehrere Tempelkomplexe untersucht. Die Landesausstellung „Die Römer an der Donau“ (1973) trug wesentlich dazu bei, Carnuntum im kollektiven Bewusstsein zu verankern.

Gleichzeitig verschärften sich die Herausforderungen: großflächige Bauprojekte, fehlender gesetzlicher Schutz und mangelnde Ressourcen zwangen die Archäologie zunehmend zum Reagieren. Forschungsgrabungen wurden mehr und mehr durch Rettungsgrabungen verdrängt. Erst mit der Novellierung des Denkmalschutzgesetzes 1990 zu Beschränkungen in der Verfügung über Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung und wachsender medialer Aufmerksamkeit konnten Antikenhandel und Raubgrabungen wirksam bekämpft werden. Die Einführung elektronischer Datenverarbeitung ermöglichte ab den 1980er-Jahren eine effizientere Dokumentation und Auswertung. Einen entscheidenden Schritt stellte schließlich die Gründung des Archäologischen Parks Carnuntum im Jahr 1988 dar. Erstmals wurde die museale Präsentation als gleichwertiges Ziel neben der wissenschaftlichen Forschung gestellt.

Wiedereinsetzung der Steine der römischen Straße
© Land NÖ

Repositionierung der Steinplatten der römischen Straßen im Freilichtareal der Römerstadt Carnuntum Ende der 1990er Jahre – © Land NÖ

Professionalisierung und Innovation

Die 1990er Jahre brachten ein wachsendes öffentliches Interesse an Archäologie und einen Bewusstseinswandel in Politik und Gesellschaft mit sich. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, wurde 1996 die Betriebsgesellschaft Archäologischer Park Carnuntum Ges.m.b.H. gegründet. Sie übernahm den Besucherbetrieb, während Forschung und Denkmalpflege weiterhin bei staatlichen Institutionen verblieben.

Ein zukunftsweisendes Vermittlungskonzept wurde ab 2005 im Vorfeld des Jubiläums „2000 Jahre Carnuntum“ umgesetzt. Ziel war es, nicht nur restaurierte Ruinen zu zeigen, sondern das römische Stadtbild durch wissenschaftlich fundierte Rekonstruktionen wieder erlebbar zu machen. Mit dem „Haus des Lucius“ wurde 2006 erstmals ein zentrales römisches Wohngebäude in antiker Bautechnik rekonstruiert. Diese und weitere Aufbauten orientierten sich streng an den Prinzipien moderner Denkmalpflege und basierten auf jahrzehntelangen archäologischen Untersuchungen.

Luftaufnahme des Römischen Stadtviertels
© (c) Andreas Hofmarcher

Das Freilichtareal der Römerstadt Carnuntum heute - © A. Hofmarcher

Erinnerung als Aufgabe der Zukunft

Die Geschichte Carnuntums nach 1945 ist eine Geschichte des Wiederaufbaus, der Umbrüche und der Neuausrichtung. Die aktuelle Online-Ausstellung “Zwischen Ruinen und Wiederaufbau – Die Römerstadt im Spiegel der Nachkriegsgeschichte Niederösterreichs“ zeigt dabei exemplarisch, wie sich der Umgang mit archäologischem Erbe im Spannungsfeld von Forschung, Schutz und öffentlicher Vermittlung in dieser Zeit verändert hat.

Heute steht Carnuntum für einen erfolgreichen, interdisziplinären Zugang zur Vergangenheit. Es ist nicht nur einer der bedeutendsten Fundorte der römischen Antike, sondern auch ein Ort, an dem kulturelle Identität erfahrbar und neu verhandelt wird. Im Jubiläumsjahr 2025 lädt Carnuntum dazu ein, die Vergangenheit nicht nur zu erinnern, sondern sie aktiv in die Zukunft zu tragen.

Eintrittskarte von Carnuntum
© Land NÖ

Ehemaliges Führungsticket im Freilichtmuseum Petronell und Museum Carnuntinum - © Land NÖ 

Grabung 1950 im Spaziergarten, Mann sitzt auf Bank vor den Ruinen
© Land Niederösterreich
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